Vielfalt und die Freiheit der Wahl sind ansich eine ganz wunderbare Sache. Problematisch wird es dann, wenn die Auswahl groß ist und noch schlimmer, wenn man sich bei der Durchsicht von immer neuen Möglichkeiten verleiten lässt. Es dauert gar nicht lange, bis das Anforderungsprofil so groß ist, das keines der gewünschten Produkte, in diesem Fall ein Boot, alle Wünsche erfüllen kann. Üblicherweise führt es dazu, dass man noch weiter sucht, und noch weiter, in der Hoffnung, doch noch die Rundum-Lösung zu finden. Keine Chance, denn spätestens jetzt wird die Fülle der Möglichkeiten unübersichtlich.
Ich kann prospektiven Bootsbauern an dieser Stelle noch keine Bautipps geben, aber zumindest meine Erfahrungen hinsichtlich der Entscheidungsfindung teilen. Vielleicht hilft es anderen Neulingen, in der Anfangsphase die Orientierungshoheit wieder zu gewinnen.
Eine Möglichkeit wäre es, in Matrixen die gewünschten und tatsächlichen Eigenschaften eines Bootes festzuhalten, quantitativ und qualitativ zu bewerten und am Schluss aus den addierten Werten eine Entscheidung zu treffen. Für sehr rationale Menschen mag das eine praktikable Lösung sein. In meinem Fall käme heraus, dass man zwar einen vernünftigen Kompromiss schafft, aber eben nicht mehr. Man trifft eine Entscheidung, die zufriedenstellend ist, aber nicht zufriedenstellt, schon gar keine Glücksmomente verheißt.
Sozusagen seligmachender schien mir die Besinnung auf den eigentlichen Wunsch: was will ich eigentlich wirklich mit dem Boot? Was sind die Vorstellungen, Möglichkeiten und Grenzen? In meinem Falle war es weniger die sportliche oder technische Herausforderung, sondern der Wunsch, Freizeit auf dem Wasser zu verbringen, in geruhsamer Langsamkeit Flüsse, Kanäle und Seen zu bereisen, nicht zu durcheilen, nach Möglichkeit auch in unzugängliche Bereiche. Das war der Ursprungsgedanke, der später verwässert wurde — durch mehr oder minder gut gemeinte Ratschläge, während der Lektüre von Büchern oder der Recherche im Internet. Von den zusätzlichen Wünschen sind zwei geblieben, die optional umsetzbar sein sollen: die Möglichkeit des Segelns und die, das Boot möglichst umweltgerecht fahren zu können, insbesondere dort, wo Segeln nicht möglich sein wird.
Jetzt wurde vieles einfacher, indem alle nicht auf diese Grundanforderungen passenden Boote von der Liste gestrichen wurden. Das war erfrischend. Und am Schluss hat sich gezeigt: die erste Idee ist immer die beste. Eigentlich logisch, denn zum Zeitpunkt der ersten Idee gab es nur die grundlegenden Ansprüche.
Fazit: es bleibt beim Pocketship und es wird erst einmal ohne Besegelung als langsames Motorboot mit einem kleinen Benzinmotor (ca. 3 PS) gefahren. In den weiteren Jahren kommt die Besegelung hinzu, Bordstrom durch Solartechnik und ggf. Windgenerator, Austausch des Benizinmotors durch einen Elektroantrieb. Bei der Gelegenheit: den Skeptikern sei gesagt, dass ich dazu schon erste Lösungen auf Basis des Pocketships gefunden habe.
Bei der Suche nach Schiffchen sind mir viele interessante Objekte über den Weg gelaufen, die mich aus verschiedensten Gründen inspiriert haben. Dazu sei gesagt, dass ich einerseits stilvolle Lösungen mag, andererseits aber auch pragmatischen Entwürfen aufgeschlossen bin, und sogar völlig augefallenen und versponnenen Lösungen, wenn sie einen praktischen oder konzeptionellen Reiz haben. Insofern gibt es einen bunten Mix, der sich auf den ersten Blick nicht unbedingt mit dem durchdachten und klassisch-stilvollen Pocketship verträgt.
Die Centex16 von Mack McKinney wäre wohl die konsequenteste Umsetzung nach der Besinnung auf die eigentlichen Wünsche ohne weiteren Optionen gewesen: ein reines langsames Reise-Motorboot mit kleiner Kabine, leicht trailerbar. Überdies gefällt es mir ganz gut, in vieler Hinsicht ähnelt es dem Pocketship. Also habe ich die Baupläne bestellt, die mit 40 Dollar sehr günstig sind und sofort per Download kommen. Ich war überrascht von der Qualität der Pläne: die Zeichnungen kommen als PDF, ließen sich damit auch für den Ausdruck im Maßstab 1 : 1 skalieren, der Bau selbst ist auf gut 40 Seiten anschaulich, aber ohne Bildmaterial, beschrieben.
Allerdings: es gibt keine Hinweise, dass dieses Boot jemals gebaut wurde, im Internet finden sich nur sehr spärliche Informationen, es gibt keine Baublogs, kein Forum, keine Gruppe. Und was noch schlimmer ist: der Konstrukteur hat mir auf verschiedene Mails und Facebook-Anfragen im Laufe von zwei Wochen nicht geantwortet. Ich würde mir wohl generell zutrauen, das Boot nach den Plänen zu bauen, aber ohne die Möglichkeit eines fachkundigen Rates schien es mir einfach zu leichtsinnig. Eigentlich schade: ein hübsches Boot mit sehr wenig Tiefgang und einem für diese Bootsklasse recht ordentlichen Platzangebot sowohl im Cockpit als auch der Kabine. Wer weiß, vielleicht baue ich es später einmal.
Auf die Entwürfe von Jim Michalak wurde ich durch einen Skipper im Boote-Forum, übrigens eine sehr wertvolle Quelle, hingewiesen. „Käptn Fred“ schrieb mir sinngemäß, wenn ich auf Design keinen Wert läge, sollte ich mir die Entwürfe ansehen. Der erste Blick auf die Seite war eine kleiner Schrecken; hübsch geht anders. Aber: wenn man sich mit den Booten und den Ideen von Jim Michalak beschäftigt, stellt man nach einiger Zeit fest, dass viele seiner Entwürfe doch den „Charme auf den zweiten Blick“ haben. Und man muss auch eines bedenken: Die Bootsbaugemeinde von Jim Michalak legt ebenso wie er nicht so sehr viel Wert auf handwerkliche Umsetzung in jedem Detail und die Farbe darf auch aus preiswerten Restposten bestehen. Diese Boote in meistens auch noch furchtbar schlechten Bildern finden sich auf der Website des Konstrukteurs. Recherchiert man ein wenig, insbesondere über die Bildersuche, wird man feststellen, dass man auch die Michalak-Pläne sorgsam und schöner bauen kann, und dann sehen sie auch nicht schlecht aus.
Meine Favoriten sind die FatCat2 und Blobster. Auch wenn beiden das Filigrane fehlt, so haben sie doch einigen Charme und für bestimmte Einsatzzwecke Vorteile, die nicht von der Hand zu weisen sind. Die meisten Boote von Michalak haben sehr flache Bootsrümpfe, ideal für Flüsse und Seen, Anfahren von Stränden — wobei dies beim Blobster wirklich kompromisslos umgesetzt wurde. Die Boote sind in der Bauweise (Stitch & Nail) bewusst einfach gehalten und vermutlich relativ schnell zu bauen, die Seitenschwerter sind robust und lassen sich bei Beschädigungen viel leichter reparieren als die Klappschwerter anderer Konstruktionen.
Jim Michalak hat zahllose Entwürfe auf seiner Seite und eine große Fangemeinde mit einer aktiven Yahoo-Gruppe. Wer kompromisslos-praktische Boote sucht und sich nicht mit filigranen Kleinigkeiten oder gar Intarsienarbeiten aufhalten möchte, wird hier sicher fündig. Gewiss braucht es ein wenig Selbstbewusstsein für das Einlaufen in eine konservative Marina. Aber könnte die Bootslandschaft nicht ein paar mehr charaktervolle Exoten neben den gesichtslosen GFK-Schüsseln vertragen?
Ob man die Boote von Michalak nun mag oder nicht, eines sollte man unbedingt lesen: sein Buch „Boatbuilding for beginners“. Es macht nicht nur mit seiner Ideenwelt vertraut, sondern bringt zahllose Tipps für den angehenden Bootsbauer. Manchmal wird man von der vermeintlichen Naivität der Tipps erschrocken, aber, bei Licht besehen, manchen dieser trivialen Fehler hätte man vermutlich gemacht. Sinngemäße Kostprobe: Baue erst das Segel. Das kannst Du aufrollen und in der Ecke verstauen. Wo lässt Du das fertige Boot, wenn Du dann mit dem Segel beginnen willst?
Wer die Pläne von Michalak schon als eigenwillig empfindet, der sollte sich mal bei Triloboats umschauen. Hier wird es „richtig abgefahren“, mit klassischen Bootsvorstellungen hat das nichts zu tun. Aber: auch hier lohnt sich ein zweiter Blick. Hauptaugenmerk liegt hier auf möglichst großem und bequemem Raumangebot und auf einer extrem einfachen und schnellen Bauweise. Auf der Herstellerseite liest man davon, diese Boote — zumindest wohl das kleine Trilobyte 16×4 — angeblich in einer Woche bauen zu können. Gut, ich bin skeptisch. Anderseits werden nur gerade Plattenzuschnitte auf ein Gerüst geschraubt, versiegelt und fertig. Wenn man mit mehreren Leuten richtig ranklotzt, könnte es schon klappen.
Ob und wie lange das schwimmt, wie viel Freude man daran hat, kann ich nicht beurteilen. Gleichwohl fand ich die Idee nicht schlecht, hier finde ich aber die größeren Typen im Sinne mobiler Hausboote spannender als den kleinsten Vertreter.
Weitere interessante Boote findet man beispielsweise bei Bateau und bei Duckworks, selbstverständlich auch bei Chesapeake Light Craft bzw. für Deutschland Berger-Boote — wobei CLC und Berger ausschließlich das Pocketship als Kajütboot im Programm haben. Natürlich gibt es Hunderte weiterer Links für die Klasse trailerbarer Kajütmotor- und Kajütsegelboote, aber dies sind die Seiten, die ich nach tausenden von Webseiten immer wieder angesteuert habe. Unbedingt zu nennen sind zwei hilfreiche Übersichten, die viele Bootstypen unterschiedlicher Größen auflisten und teilweise miteinandere vergleichen können: workingsail.com und boatplans.cc, die ich besonders hilfreich fand. Mehr will ich nicht nennen, denn ich bin ja froh, dass ich meinen Entscheidungsknoten gerade entwirren konnte.
Meine Findungsphase ist vorbei. Es wird das Pocketship. Holz ist bestellt.
3 Antworten
Hi Carlos,
im BF habe ich den Thread der Bootsfindung verfolgt und kann verstehen, dass das nicht leicht ist.
Als Bootswassersportler seit über 50 Jahren hat mich vor einem halben Jahr ein ganz spezielles Boot fast umgehauen.
Es ist die Paradox von Matt Layden, USA, der ein so durchdachtes, sicheres und knuffiges Boot konstruiert hat, das er selbst auch in den rauen Gegenden (Bay of Fundy – Nova Scotia) erfolgreich gesegelt und auch lange bewohnt hat.
http://www.microcruising.com/paradox1.htm
Da meine Frau lieber am Strand bleibt, könnte ich ganz entspannt auch kleinere Törns völlig autark durchführen. Quasi Wilfried Erdmann für Arme…..;-)
Dir wünsche ich viel Erfolg und Freude beim Bauen und später beim Segeln!
Grüße
Bernd
Ich bin bei meinen Recherchen immer wieder auch über die Paradox gestolpert. Stimmt, die hätte ich auch mal aufführen können.
Sehr schöne Auflistung von interessanten Bootsplänen. Die minimalistischen Konstruktionen haben ihren Reiz und müssen wohl für den Hightec Segler, der tausende von Euros alleine fürs Rigg ausgibt, schon fast beleidigend sein.
Ich persönlich mag deswegen auch die traditionellen Lugger Segel sehr.
Viele Grüße
und Glückwünsche zum tollen Boot.
Tom